Q18-Rolling-Stone

Q18-Soziales Netzwerk auf Lügen

Artikel „Rolling Stone Magazin“
9. August 2024

Elon Musk hat Prob­leme, die Wahrheit zu sagen. Ob er nun zu viel ver­spricht, was seine Unternehmen leis­ten kön­nen, oder die Tat­sachen über seine eige­nen Kinder ver­dreht, es ist klar, dass er sich von der Real­ität nicht eingeschränkt fühlt, was ihn zweifel­los zu dem Desin­for­ma­tion­s­mogul gemacht hat, der er heute ist. 

Fast zwei Jahre, nach­dem Musk seine 44-Mil­liar­den-Dol­lar-Über­nahme von Twit­ter abgeschlossen hat, sind er und die Plat­tform – wo er nicht nur Eigen­tümer ist, son­dern auch der meist­ge­fol­gte Nutzer – aus dem Leben­szyk­lus aufrührerisch­er Unwahrheit­en und Ver­schwörungs­the­o­rien nicht mehr wegzu­denken. Während die etablierten Social-Media-Unternehmen lange ver­sucht haben, die Ver­bre­itung solch­er Inhalte zu ver­hin­dern und Extrem­is­ten ihre Lügen in kleineren, obskuren und unmod­erierten Net­zw­erken ver­bre­it­en ließen, entließ Musk die Twit­ter-Teams, die mit der Bekämp­fung irreführen­der Inhalte beauf­tragt waren. Weit­er­hin hat er Tausende dauer­haft ges­per­rte Accounts wieder­hergestellt, darunter die von Neon­azis und Ver­schwörungs­the­o­retik­ern wie Alex Jones, mit denen er oft selb­st in Kon­takt stand. Anson­sten änderte er das Ver­i­fizierungssys­tem in ein Pay-to-Play-Sys­tem, bei dem Abon­nen­ten eine bessere Sicht­barkeit genießen; gle­ichzeit­ig ist es schwieriger gewor­den, die Accounts echter Per­sön­lichkeit­en des öffentlichen Lebens zu erken­nen.

Die Besei­t­i­gung der (unvol­lkomme­nen) Leit­planken von Twit­ter bedeutete, dass eine wichtige Online-Ressource, auf die sich viele im Hin­blick auf Nachricht­en und Infor­ma­tio­nen ver­ließen, zum ersten Mal von manip­u­la­tiv­en Trollen über­schwemmt wurde, die früher an den Rand des sozialen Net­zes ver­ban­nt wor­den waren. Falsche Infor­ma­tio­nen über Kriege, Gesund­heit, Kli­mawan­del, Wahlen und mehr flo­ri­erten neben gewalt­tätiger Rhetorik und Has­sre­den in einem dig­i­tal­en Forum, das tat­säch­lich Ein­fluss auf den Lauf der men­schlichen Ereignisse hat.

Im Mit­telpunkt ste­ht Musk, dessen Hin­wen­dung zu recht­sex­tremer Ide­olo­gie ihn dazu gebracht hat, hem­mungs­los Unwahrheit­en zu ver­bre­it­en und zu ver­stärken und sie einem Mil­lio­nen­pub­likum algo­rith­misch aufzu­drän­gen. Aber er war nicht immer so tief in dem Reser­voir leicht zu ent­lar­ven­der Gerüchte und falsch­er Behaup­tun­gen. In dieser Zeitleiste ver­fol­gen wir, wie er X in eine Desin­for­ma­tion­s­mas­chine ver­wan­delte.

2018–2019:

2018 war ein Schlüs­sel­jahr für Musk: Während er durch seine Beziehung mit Grimes und das Kif­f­en in Joe Rogans Pod­cast zu einem voll­w­er­ti­gen Pop­star wurde, ver­lor Tes­la Mil­lio­nen von Dol­lar, um das Mod­el 3 aus der „Pro­duk­tion­shölle“ zu holen. In einem Inter­view beze­ich­nete Musk diese Zeit als „entset­zlich“ und behauptete, er habe bru­tal lange Stun­den gear­beit­et.

Den­noch fand er viel Zeit für Twit­ter, wo er sich mehr Mühe gab, witzig zu wirken – zu dieser Zeit begann er, Memes zu ver­wen­den. Diese Ver­suche in Sachen Komik, kom­biniert mit eher sprung­haften und impul­siv­en Post­ing-Gewohn­heit­en, sorgten stel­len­weise für Ärg­er. In einem Tweet beschimpfte er einen britis­chen Tauch­er, der seine Idee, ein Tauch­boot zur Ret­tung ein­er thailändis­chen Jugend­fußball­mannschaft einzuset­zen, die in einem über­fluteten Höh­len­sys­tem gefan­gen war, ablehnte, und nan­nte ihn einen „Pädo-Typen“. Musk wehrte eine Ver­leum­dungsklage ab, nach­dem seine Anwälte argu­men­tierten, die Belei­di­gung sei ein „Witz“ gewe­sen, den er zurückgenom­men habe, obwohl er in nach­fol­gen­den E‑Mails an Buz­zFeed noch nach­legte und darauf behar­rte, der Tauch­er sei ein „Kinder­schän­der“. Noch fol­gerichtiger war, dass Musk twit­terte, er habe „die Finanzierung gesichert“, um Tes­la zu 420 Dol­lar pro Aktie von der Börse zu nehmen, was nicht stimmte. Er einigte sich mit der US-Börse­nauf­sichts­be­hörde Secu­ri­ties and Exchange Com­mis­sion (SEC), indem er sich bere­it erk­lärte, eine Geld­strafe von 20 Mil­lio­nen Dol­lar für eine irreführende Bemerkung zu zahlen, die „zu ein­er sig­nifikan­ten Mark­t­störung geführt“ habe. Tes­la musste weit­ere 20 Mil­lio­nen Dol­lar zahlen und Musk wurde zum Rück­tritt als Vor­standsvor­sitzen­der des Unternehmens gezwun­gen.

Jed­er dieser Vor­fälle zeigte Musks Nei­gung zur Verz­er­rung oder zumin­d­est seine Fähigkeit, etwas zu glauben, was er sich ein­fach aus­gedacht hat­te. Sie enthüll­ten auch die poten­ziell erhe­blichen Auswirkun­gen sein­er unge­filterten Kom­mentare. Als zwei Stücke von Fehlin­for­ma­tio­nen schienen diese Tweets eher per­sön­liche als poli­tis­che Ziele zu ver­fol­gen: Rache an einem Mann, der sein Image als Tech­nolo­gie-Inno­va­tor unter­graben hat­te, und Kon­trolle über das Unternehmen, das den Großteil seines Ver­mö­gens aus­macht. Erst als Covid-19 den Plan­eten im Griff hat­te, entwick­elte er Appetit auf bre­it­ere, polar­isierende For­men faden­scheiniger Pro­pa­gan­da.

2020:

Am 19. März 2020, als die USA Aus­gangssper­ren ver­hängten, um die Aus­bre­itung eines ansteck­enden neuen Virus einzudäm­men, machte Musk auf Twit­ter eine kühne Vorher­sage: „Basierend auf den aktuellen Trends wer­den wir in den USA […] bis Ende April wahrschein­lich nahezu keine neuen Fälle mehr haben“, schrieb er. Stattdessen würde Covid-19 weit über eine Mil­lion Amerikan­er töten.

Für ein selb­st ernan­ntes Genie ist es sicher­lich pein­lich, sich in Bezug auf den Ver­lauf der Pan­demie völ­lig zu irren, und es war nicht hil­fre­ich, angesichts der Bedro­hung Gle­ichgültigkeit zu säen. Doch wenige Minuten später tat Musk noch etwas Schlim­meres: Er behauptete in einem Tweet, Kinder seien „im Wesentlichen immun“ gegen Covid, was völ­lig falsch ist. Obwohl Twit­ter ver­sucht, gegen medi­zinis­che Fehlin­for­ma­tio­nen vorzuge­hen, ließ man den Beitrag ste­hen, und Musk hat ihn bis heute nicht gelöscht.

Die Kom­mentare waren Teil eines sich entwick­el­nden Nar­ra­tives von Musk: Aus sein­er Sicht ist Panik vor dem Coro­n­avirus „dumm“ und kön­nte „mehr Schaden anricht­en als das Virus“. Er sagte, Covid sei mit der Grippe ver­gle­ich­bar; tat­säch­lich sei es ansteck­ender und tödlich­er. In ein­er Tele­fonkon­ferenz zu Tes­las Quar­tal­szahlen wet­terte er gegen die Lock­down-Maß­nah­men und nan­nte sie „faschis­tisch“, weil sie die Fab­riken des Unternehmens geschlossen und die Pro­duk­tion gestoppt hat­ten. Er twit­terte ohne Beweise, dass Covid-Tests eine 80-prozentige Falsch­pos­i­tivrate liefern, und spekulierte, das Medika­ment Hydrox­y­chloro­quin kön­nte eine wirk­same Behand­lung von Infek­tio­nen seinkön­nte. (Spätere Dat­en zeigten, dass dies nicht der Fall ist.) Bei jedem Schritt argu­men­tierte er, dass die Reak­tion der USA auf Covid eine schädliche Über­reak­tion gewe­sen sei, obwohl das Land eine viel höhere Ster­ber­ate als andere große, wohlhabende Natio­nen zu verze­ich­nen hat­te.

Musks Weigerung, das Aus­maß und die Auswirkun­gen der Krise anzuerken­nen, während er irreführende Ansicht­en dazu äußerte, brachte ihn in Ein­klang mit recht­en Per­sön­lichkeit­en, die eben­falls Regierungs­maß­nah­men infrage stellen und Ver­schwörungs­the­o­rien ver­bre­it­en. Ende 2022 ver­mis­chte er in einem Tweet, in dem er Dr. Antho­ny Fau­ci, der im sel­ben Jahr Direk­tor des Nation­al Insti­tute of Aller­gy and Infec­tious Dis­eases war, die Schuld an der Pan­demie gab, geschlechtsspez­i­fis­che Beschw­er­den aus dem Kul­turkampf mit seinem Covid-Trutheris­mus. „Meine Pronomen sind Prosecute/Fauci“, twit­terte Musk. Zwei Monate später schien er die Ver­schwörungs­the­o­rie direkt zu unter­stützen, Fau­ci habe die „Entwick­lung“ von Covid-19 „finanziert“.

Doch schon im Mai 2020 sig­nal­isierte Musk direkt seine Affinität zu recht­sex­tremen Ideen und all den Fehlin­for­ma­tio­nen, die mit der Über­nahme dieses Dog­mas ein­herge­hen. „Nimm die rote Pille“, twit­terte er in jen­em Monat und bezog sich damit auf die Kapsel, die die Charak­tere in „Matrix“ nehmen, um aus ein­er Com­put­er­sim­u­la­tion aufzuwachen und ein­er schreck­lichen Real­ität ins Auge zu blick­en. Seit der Veröf­fentlichung des Films wurde das Konzept der „roten Pille“ von ein­er Rei­he von Reak­tionären und Has­s­grup­pen als poli­tis­che Meta­pher für das Erken­nen des „wahren“ Zus­tands der Dinge über­nom­men – das heißt, die Ablehnung lib­eraler und link­er Ortho­dox­ien, typ­is­cher­weise zugun­sten von Unwahrheit­en, die rechte Ein­stel­lun­gen ver­stärken.

2021–2022:


Als Covid-19-Impf­stoffe all­ge­mein ver­füg­bar wur­den und die meis­ten Vor­sichts­maß­nah­men gegen die Pan­demie in Vergessen­heit geri­eten, hat­te Musk weniger Anlass, Falschin­for­ma­tio­nen über das Virus zu ver­bre­it­en. (Schließlich waren Tes­las Fab­riken wieder geöffnet und Musk hat­te sich trotz sein­er früheren Skep­sis impfen lassen.) Den­noch hat­te er 2020 zweimal eine Mei­n­ung getwit­tert, die ihm weit­er­hin Ärg­er mit der Art rechts­gerichteter Influ­encer ein­brachte, die Tat­sachen ver­drehen und irreführende Zusam­men­hänge kon­stru­ieren, um ihre eige­nen Ziele zu ver­fol­gen.

„Pronomen sind scheiße“, schrieb Musk das erste Mal und stimmte damit offen den Repub­likan­ern zu, die eine moralis­che Panik über die Exis­tenz von Trans­gen­dern und nicht­binären Men­schen geschürt haben. Der Tweet erhielt bewun­dernde Antworten von dieser Kohorte und ins­ge­samt viel Engage­ment. Er ver­an­lasste auch seine dama­lige Part­ner­in Grimes, ihm zu rat­en, sein Tele­fon auszuschal­ten oder sie anzu­rufen. „Ich kann Hass nicht unter­stützen“, antwortete sie. „Bitte hör auf damit. Ich weiß, dass das nicht dein Herz ist.“ Monate später ver­dop­pelte Musk seinen Ein­satz und twit­terte: „Ich unter­stütze Trans­gen­der abso­lut, aber all diese Pronomen sind ein ästhetis­ch­er Alb­traum.“

In der Zwis­chen­zeit kon­nte er ein größeres Pub­likum gewin­nen, was vielle­icht teil­weise an seinen zunehmend poli­tisierten Ansicht­en lag. Ende 2021 hat­te er fast 70 Mil­lio­nen Fol­low­er, gegenüber etwa 30 Mil­lio­nen Anfang 2020. Ende 2022, nach­dem er Twit­ter auf Pri­vat gestellt hat­te, hat­te er über 120 Mil­lio­nen Fol­low­er und nähert sich nun der 200-Mil­lio­nen-Marke. (Der Account mit den zweit­meis­ten Fol­low­ern, der Barack Oba­ma gehört, hat 130 Mil­lio­nen Fol­low­er.) Wie auch immer man das misst, Musks Ansicht­en, Inter­essen und sein Aus­tausch mit ein­er aus­gewählten Gruppe rechter Trolle, die seine Entschei­dun­gen bee­in­flussen wollen, sind zu einem unver­mei­d­baren und bes­tim­menden Merk­mal der Web­site gewor­den.

Als Musk ver­suchte, sich aus sein­er Vere­in­barung zum Kauf von Twit­ter im Jahr 2022 her­auszuwinden, waren einige sein­er Behaup­tun­gen über die Web­site kaum zu glauben, etwa sein wieder­holter Protest, dass das Net­zw­erk wim­mele von Botswim­melte. Im Mai dieses Jahres twit­terte er, weit mehr als 20 Prozent der Accounts kön­nten gefälscht sein, doch seine eige­nen Daten­wis­senschaftler wider­legten diese Aus­sage und fan­den her­aus, dass Bots weitaus weniger ver­bre­it­et sind, als er behauptet hat­te. Und nach­dem er Twit­ter erst ein­mal unter Kon­trolle hat­te, reagierte Musk beson­ders empfänglich auf die Beschw­er­den von Recht­en, die regelmäßig Falschin­for­ma­tio­nen posten und das Gefühl haben, das alte Man­age­ment des Unternehmens sei ihnen gegenüber vor­ein­genom­men gewe­sen. Dazu gehören der mala­y­sis­che Kul­turkämpfer Ian Miles Cheong, Chaya Raichik (Betreiberin des Anti- LGBTQ- Hass-Accounts Libs of Tik­Tok ) und der ober­ste MAGA-Shit­poster @Catturd2 , ein erk­lärter Impfgeg­n­er und Wahlleugn­er.

Während er sich an diese Leute her­an­machte, erwies sich Musk als leicht­gläu­big genug, auf die lächer­lich­sten Ver­leum­dun­gen und Ver­schwörungs­the­o­rien here­inz­u­fall­en – und sie zu ver­bre­it­en. Im Okto­ber 2022 wurde Paul Pelosi, der Ehe­mann der dama­li­gen Sprecherin des Repräsen­tan­ten­haus­es Nan­cy Pelosi, von einem Mann mit einem Ham­mer ange­grif­f­en , der auf der Suche nach der Kon­gress­ab­ge­ord­neten in das Haus des Paares in San Fran­cis­co einge­brochen war. Eine Unter­suchung ergab, dass der Ein­drin­gling recht­sex­treme, ver­schwörungs­the­o­retis­che Inhalte kon­sum­iert hat­te, darunter auch QAnon-Mate­r­i­al und in einem Tweet kri­tisierte Hillary Clin­ton die Repub­likan­er für die Ver­bre­itung solch­er „geis­tes­gestörter“ Unwahrheit­en. In ein­er Antwort schrieb Musk: „Es beste­ht die winzige Möglichkeit, dass an dieser Geschichte mehr dran ist, als es zunächst den Anschein macht.“ Er ver­link­te auf einen Artikel im San­ta Mon­i­ca Observ­er, einem Medi­um, das dafür bekan­nt ist, unge­heuer­liche Lügen zu veröf­fentlichen , darunter einen Artikel, in dem behauptet wurde, Clin­ton selb­st sei gestor­ben und 2016 durch ein Dou­ble erset­zt wor­den. Der Artikel, den Musk teilte, beschrieb den Angriff auf Paul Pelosi fälschlicher­weise als einen betrunk­e­nen Stre­it zwis­chen dem Ehe­mann der Sprecherin und einem von ihm ange­heuerten männlichen Pros­ti­tu­ierten. Später löschte er den Tweet, aber nicht bevor er dafür gesorgt hat­te, dass die Ver­schwörungs­the­o­rie auf Twit­ter zum Trend wurde.

Zu diesem Zeit­punkt war Musk uneingeschränkt in das Pro­jekt der Kon­ser­v­a­tiv­en einge­bun­den, recht­sex­treme Motive für poli­tis­che Gewalt zu ignori­eren. In den fol­gen­den Monat­en sollte er als Sprachrohr für jene Art extrem­istis­ch­er Pro­pa­gan­da dienen, die zu Massen­er­schießun­gen geführt hat.

2023:

Nach­dem Twit­ters Mod­er­a­tionsteams entkräftet wur­den und bere­its zuvor außer Rand und Band ger­atene User ges­per­rt wor­den waren, war die Plat­tform als Infor­ma­tion­squelle unzu­ver­läs­siger denn je. Die Fak­tencheck-Organ­i­sa­tion Sci­ence Feed­back veröf­fentlichte im März 2023 eine Studie , die ergab, dass 490 „Superspreader“-Accounts, die virale Falschbe­haup­tun­gen ver­bre­it­eten, unter der Musk-Regierung einen 44-prozenti­gen Anstieg der Inter­ak­tio­nen verze­ich­neten. Musks per­sön­lich­er Account war ein Fak­tor bei diesem Trend: „Vier der fünf Accounts, die den größten Ein­fluss gewon­nen haben, haben auf min­destens einen ihrer zehn Top-Tweets Antworten von Elon Musks per­sön­lichem Account erhal­ten“, schrieb Bastien Carniel, Leit­er für Poli­tik und Dat­en bei Sci­ence Feed­back. „Es ist höchst­wahrschein­lich, dass diese Tweets viral gin­gen, weil Elon Musk sich entsch­ieden hat, zu antworten und sie seinen Mil­lio­nen Fol­low­ern zur Ken­nt­nis zu brin­gen“, fügte er hinzu.

Das Prob­lem wurde nur noch schlim­mer, obwohl Musk weit­er­hin damit prahlte, dass Twit­ter – das bald in „X“ umbe­nan­nt wurde – genauere Nachricht­en lief­ere als die tra­di­tionellen Medi­en. Im Mai dieses Jahres tötete ein Schütze in einem Einkauf­szen­trum in Allen, Texas, acht Men­schen. Spätere Berichte über die Social-Media-Präsenz des Schützen enthüll­ten, dass er ein weißer Ras­sist mit Nazi-Tat­toos war. Musk bezweifelte diese vom FBI ver­i­fizierten Details öffentlich und fragte sich, ob sie Teil ein­er „sehr schlecht­en psy­chol­o­gis­chen Oper­a­tion“ waren. Er mochte auch Beiträge eines Twit­ter-Benutzers, der fälschlicher­weise behauptete, der Schütze sei ein Mit­glied ein­er mexikanis­chen Gang gewe­sen. Tage später behauptete er weit­er­hin, es gebe „ keinen Beweis “, dass der mit einem Hak­enkreuz tätowierte Killer ein weißer Ras­sist war.

In der gle­ichen Woche beschritt Musk bere­its den Weg in Rich­tung Anti­semitismus und twit­terte , der Mil­liardär, Phil­an­throp und Holo­caust-Über­lebende George Soros , der lib­eralen Zweck­en Geld spendet, wolle „das Gefüge der Zivil­i­sa­tion unter­graben“ und „has­se die Men­schheit“. Soros ist jüdis­ch­er Abstam­mung und wird häu­fig anti­semi­tisch ange­grif­f­en, da er ange­blich das Ober­haupt ein­er großen Ver­schwörung der Eliten sei. Im Herb­st ging Musk noch weit­er und unter­stützte weiße Ras­sis­ten, die dazu aufriefen, die Anti-Defama­tion League, eine Organ­i­sa­tion zur Bekämp­fung von Anti­semitismus, von der Web­site zu ver­ban­nen.

Ihre Hash­tag-Kam­pagne #BanT­heADL war voll von anti­semi­tis­chen Memes. Musk machte weit­er­hin grund­los die ADL dafür ver­ant­wortlich, dass Wer­be­treibende das neue, giftige Twit­ter ver­ließen, und sagte, sie wür­den „ver­suchen, diese Plat­tform zu töten“, indem sie Bedenken vor Has­sre­den gegen Juden schürten. Und schließlich gab Musk in den Wochen, nach­dem der Hamas- Angriff auf Israel am 7. Okto­ber eine Explo­sion von Falschin­for­ma­tio­nen über Kriegs­ge­bi­ete auf der Web­site aus­gelöst hat­te, die anti­semi­tis­che Ver­schwörungs­the­o­rie eines Benutzers als „ die wahre Wahrheit “ hin, wonach Juden den „dialek­tis­chen Hass gegen Weiße“ geschürt und vorsät­zlich die Massenein­wan­derung von „Min­der­heit­en“ in die USA erle­ichtert hät­ten

Während dieser Episo­den ver­stärk­te Musk seine gewohnte Sorge vor einem dro­hen­den Bevölkerungszusam­men­bruch, eine the­o­retis­che Krise, die er laut Demografen maß­los über­trieben hat . Nun allerd­ings verknüpfte er diese Angst mit ras­sis­tis­chen Ver­schwörungs­the­o­rien, etwa der, die von ein­er dro­hen­den „Großen Ver­tauschung“ aus­ge­ht, bei der die Weißen in den west­lichen Natio­nen auf­grund ihrer niedri­gen Geburten­rat­en zahlen­mäßig von nicht-weißen Ein­wan­der­ern über­holt wer­den. Ver­sio­nen dieser The­o­rie geben abwech­sel­nd Juden oder lib­eralen Poli­tik­ern die Schuld dafür, dass sie zu viele Migranten ins Land lassen. Im Jan­u­ar 2024 twit­terte Musk seine Überzeu­gung , die Biden-Regierung schleuse sie ille­gal über die Gren­ze in der Erwartung, dass sie kün­ftig „Demokrat­en-Wäh­ler“ sein wür­den. Natür­lich dür­fen Ein­wan­der­er ohne Papiere nicht wählen, noch haben sie auf legalem Weg die Staats­bürg­er­schaft und das Wahlrecht. Darüber hin­aus waren Überzeu­gun­gen von der „Großen Ver­tauschung“ der Grund für tödliche Massen­er­schießun­gen von Mus­li­men in Christchurch (Neusee­land), Lati­nos in El Paso (Texas) und Schwarze in Buf­fa­lo, New York, und jüdis­che Gläu­bige in ein­er Syn­a­goge in Pitts­burgh, Penn­syl­va­nia. Musk scheint für ähn­liche Vorstel­lun­gen empfänglich zu sein, etwa für den Mythos, dass Weiße in Südafri­ka unter der Bedro­hung eines „ weißen Genozids “ leben.

Und das sind nur die Unwahrheit­en, die Musk selb­st getwit­tert hat. Wie die Recherchen von Sci­ence Feed­back zeigen, fol­gt er zahlre­ichen Accounts, die X mit Fehlin­for­ma­tio­nen über­fluten, und er steigert deren Sicht­barkeit gern mit ein­er ein­sil­bi­gen Antwort („Besorgnis­er­re­gend“, „Ver­rückt“, „Böse“) oder ein­fach nur mit Satzze­ichen („!!“). Das kann alles Mögliche sein, von jeman­dem, der eine Drag Queen als Sex­u­al­straftäter dif­famiert, bis hin zu unbe­wiese­nen Vor­wür­fen des Wahlbe­trugs. Musk ließ auch keine Gele­gen­heit aus, seinen Unsinn offline zu ver­bre­it­en, ins­beson­dere wenn er gegen das wet­terte, was er „das Woke-Mind-Virus“ nen­nt. In einem pein­lichen Inter­view bei Real Time With Bill Maher stellte er die unglaub­würdi­ge Behaup­tung auf, amerikanis­chen Schülern werde heute beige­bracht, George Wash­ing­ton sei ein Sklaven­hal­ter gewe­sen – aber son­st keine Fak­ten über ihn. Immer und immer wieder, in jedem Forum, war er der Wahrheit gegenüber völ­lig gle­ichgültig.

2024:

Auch in diesem Jahr hat Musk sein Engage­ment für Extrem­is­ten und Has­sred­ner-Accounts fort­ge­set­zt, ihnen geholfen, Empörung über die Ein­wan­derung zu schüren, und zuge­lassen, dass der Anti­semitismus auf X im Ver­gle­ich zu seinen Haup­tkonkur­renten prak­tisch unge­bremst weit­erge­ht. Er beteiligt sich regelmäßig an der Dämon­isierung von Trans­gen­der-Per­so­n­en und hat die World Pro­fes­sion­al Asso­ci­a­tion for Trans­gen­der Health beschuldigt, „ Kinder zu ver­stüm­meln “. Für Musk ist das ein per­sön­lich­es The­ma, er hat eine trans­sex­uelle Tochter, Vivian Wil­son. In einem Inter­view im Juli mit dem kanadis­chen Psy­cholo­gen Jor­dan Peter­son , einem Mit­stre­it­er gegen „Wok­e­ness“, nan­nte Musk ihren falschen Namen und das falsche Geschlecht ihrer Tochter und erk­lärte, ihre Geschlecht­sumwand­lung sei es gewe­sen, die ihn über­haupt erst dazu inspiri­ert habe, das „Woke-Mind-Virus“ zu bekämpfen, weil es sie „getötet“ habe. (Wil­son änderte kurz nach ihrem 18. Geburt­stag im Jahr 2022 vor einem kali­for­nischen Gericht ihren Namen und ihr Geschlecht und sagte, sie wolle nicht länger mit ihrem Vater ver­wandt sein.) In sein­er Antwort auf der Meta-eige­nen Social-Media-Plat­tform Threads sagte Wil­son, Musk habe Details ihrer Kind­heit und ihrer Beziehung frei erfun­den, da er ein größ­ten­teils abwe­sender Eltern­teil gewe­sen sei.

Ein weit­er­er für Musk in let­zter Zeit inter­es­san­ter Punkt ist die Präsi­dentschaftswahl. Schon im Jan­u­ar behar­rte er auf der ange­blichen Anfäl­ligkeit des US-Wahlsys­tems für Betrug durch Briefwahl und Stim­ma­b­gabe von Nicht-Staats­bürg­ern und behauptete in einem Tweet fälschlicher­weise, dass „Ille­gale nicht daran gehin­dert wer­den, an Bun­deswahlen teilzunehmen“. Im ver­gan­genen Sep­tem­ber entließ Musk X Mitar­beit­er , die mit der Bekämp­fung von Wahl- und poli­tis­ch­er Falschin­for­ma­tion beauf­tragt waren, mit der Begrün­dung, dass dieses Pro­jekt ein­er Wahlbee­in­flus­sung gle­ichkäme , und seine Lügen bezüglich der US-Präsi­dentschaftswahl wur­den von Com­mu­ni­ty Notes, ein­er Crowd­sourc­ing-Funk­tion zur Fak­ten­prü­fung, nicht wider­legt.

Kür­zlich teilte Musk – der nach einem Atten­tat auf den ehe­ma­li­gen Präsi­den­ten im ver­gan­genen Monat seine uneingeschränk­te Unter­stützung für den repub­likanis­chen Präsi­dentschaft­skan­di­dat­en Don­ald Trump erk­lärt hat­te – ein Deep­fake-Video der demokratis­chen Vizepräsi­dentin Kamala Har­ris , ohne offen­zule­gen, dass es manip­uliert war. In dem Clip erk­lärt eine Stimme, die wie Har­ris klin­gen soll: „Ich bin die ulti­ma­tive Diver­si­ty-Kan­di­datin.“ Am Don­ner­stag veröf­fentlichte das Cen­ter for Coun­ter­ing Dig­i­tal Hate (eine Anti-Extrem­is­mus-Auf­sicht­sor­gan­i­sa­tion, die gegen X erfol­g­los verk­lagt wurde, weil sie über die Ver­bre­itung ras­sis­tis­ch­er Inhalte auf der Plat­tform berichtet hat­te) eine Analyse, die ergab, dass 50 irreführende oder falsche Tweets von Musk über die US-Wahl 2024 ins­ge­samt 1,2 Mil­liar­den Aufrufe erzielt haben . Kein­er davon erhielt eine Com­mu­ni­ty Note. Und am Mon­tag schick­ten fünf Außen­min­is­ter einen offe­nen Brief, in dem sie Musk auf­forderten, „umge­hend“ Änderun­gen an X‘ KI-Chat­bot Grok vorzunehmen, der falsche Behaup­tun­gen darüber pro­duziert hat­te, dass Har­ris in neun Bun­desstaat­en eine Wahl­frist ver­säumt habe – eine Fehlin­for­ma­tion, die dann Mil­lio­nen von Nutzern zu Gesicht beka­men.

Um das Ganze noch zu top­pen, mis­chte sich Musk auch in die britis­che Poli­tik ein. Am Don­ner­stag teilte und löschte er eine gefälschte Schlagzeile, in der behauptet wurde, Pre­mier­min­is­ter Keir Starmer erwäge die Möglichkeit, recht­sex­treme Ran­dalier­er in „ Notauf­nah­me­lager “ auf den Falk­landin­seln zu schick­en. Er hat­te den manip­ulierten Screen­shot von Ash­lea Simon, der Vor­sitzen­den der recht­sex­tremen Partei Britain First, erneut geteilt und dieser wurde offen­bar rund zwei Mil­lio­nen Mal ange­se­hen, bevor er ihn wieder ent­fer­nte.

Wie kann Musk von hier aus weit­er­ma­chen? Er lässt sich leicht durch falsche Bilder und unbelegte Behaup­tun­gen täuschen, weiß nicht und küm­mert sich auch nicht darum, dass sein recht­es Gefolge die Real­ität regelmäßig ver­dreht, hat sich der verblende­ten MAGA-Men­tal­ität ver­schrieben und hat schon vor langer Zeit die Kon­trollmech­a­nis­men abgeschafft, die hät­ten ver­hin­dern kön­nen, dass seine (oder die von irgend­je­mand anderem) Desin­for­ma­tion auf X im Trend liegt. Er hat sich ein konkur­ren­zlos­es Mega­fon aufge­baut, um dem Jour­nal­is­mus mit Pro­pa­gan­da, Gerücht­en, Unter­stel­lun­gen und Beläs­ti­gung ent­ge­gen­zutreten. Man kann davon aus­ge­hen, dass er es im Vor­feld der Wahl weit­er dröh­nen lässt und dann, wenn Trump ver­liert, die Laut­stärke noch weit­er erhöht. Wenn es ein Prinzip gibt, das Musk schon immer hochge­hal­ten hat, dann ist es das, dass man Bull­shit, wenn man ihn laut und oft genug wieder­holt, zu einem anderen Zeit­punkt wahr wer­den lassen kann.

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